Anomale Toxizitätsprüfung bei Tierimpfstoffen Karin Duchow und Beate Krämer Paul-Ehrlich-Institut, Abteilung Veterinärmedizin, D-Langen Zusammenfassung Keywords: veterinary vaccines - abnormal toxicity - safety Das DAB fordert für Impfstoffe und Immunseren eine test Prüfung auf anomale Toxizität an Mäusen und Meerschweinchen als Verträglichkeitskriterium. Das vorliegende Projekt beschäftigt sich mit der Relevanz der anomalen Toxizität im Zeitalter einer GMP- und GLPgerechter Produktion. Vorläufige Ergebnisse: 1. Geringer Aussagewert der Prüfung an Mäusen und Meerschweinchen durch die Nichtübertragbarkeit der Ergebnisse auf die Zielspezies. 2. Der Aussagewert des Tests auf anomale Toxizität als Prädiktor für qualitativ minderwertige Chargen ist unzureichend: a) jegliche Spezifität fehlt, b) Fehlinterpretationen sind möglich durch substanzspezifische Reaktionen von Mäusen und Meerschweinchen, die nicht mit einer eventuellen Gefährdung der Impflinge in Verbindung zu bringen sind bzw. 3. der Zusatz von Adjuvantien und Konservierungsmitteln führt häufig zu lokalen und/oder generalisierten Symptomen der Unverträglichkeit mit geringer Relevanz für die Impfspezies, 4. der hohe Tiereinsatz steht mit teilweise erheblichem Leiden für die Tiere in keiner Relation zu dem Sicherheitsgewinn. Die genannten Gründe sollten für eine ersatzlose Streichung des Tests auf anomale Toxizität aus dem DAB ausreichen, zumal Toxizitätsprüfungen anderer Art in verschiedenen Variationen bei jeder Impfstoffentwicklung/herstellung beteiligt sind. 1. Einleitung Impfstoffe, Immunseren und Immunglobuline sind besondere Arzneimittel, deren Qualität aufgrund der unvermeidbaren biologischen Schwankungen während des Herstellungsprozesses sorgfältig überwacht und geprüft werden muß. Den allgemeinen Rahmen der Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln stellen das Deutsche Arzneibuch in der 10. derzeit amtlichen Ausgabe von 1991 (DAB 10), die Tierimpfstoff-Verordnung sowie das Arzneimittelgesetz (AMG) dar. Die Prüfung der einzelnen Präparate wird durch Arzneibuchmonographien des DAB 10 und durch die Zulassungsunterlagen geregelt. ALTEX 11, SUPPLEMENT 94 Die Durchführung von Tierversuchen nimmt bei der Prüfung von Impfstoffen eine besondere Stellung ein. Neben den Tierversuchen zur Bestimmung der Wirksamkeit eines Impfstoffes sind zur Prüfung auf Unschädlichkeit ebenfalls Tierversuche durchzuführen. Hierzu gehört insbesondere die Prüfung auf anomale Toxizität, deren Durchführung im DAB 10 im allgemeinen Teil V.2.1.5 geregelt ist. In den speziellen Monographien wird dann jeweils auf diese Prüfungsvorschrift verwiesen. Eine Anfrage beim Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ergab nach Durchsicht verschiedener, auch veterinärmedizinischer Datenbanken, daß zu der Thematik „Prüfung auf anomale Toxizität“ keine wissenschaftlichen Studien vorliegen. Lediglich Hendriksen (1988) und Gommer (1991) geben diesbezüglich kritische Anregungen. Hendriksen betrachtet die Prüfung auf anomale Toxizität als historisch gewachsen, Gommer bestätigt dies mit der Äußerung, daß der Test in den fünfziger Jahren in den U.S.A. als General Safety Test (vgl. auch WHORequirements) etabliert worden sei. 11 DUCHOW UND KRÄMER Als ein Parameter von neun Kriterien soll die Prüfung der Sicherung der Qualitätskontrolle von Impfstoffen dienen, mit der Zielsetzung, unbekannte Kontaminanten sowohl InProcess als auch zusätzlich an der Endabfüllung des Produktes zu erkennen. Sowohl im human- als auch im veterinärmedizinischen Bereich werden Mäuse und Meerschweinchen eingesetzt. Die Wahl von zwei Tierarten basiert dabei auf der empirischen Annahme, daß sich die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung eines toxischen Effektes bei Verwendung von mehr als einer Tierart erhöht. Die Prüfung auf anomale Toxizität wird in dieser Form weltweit durchgeführt, nur die Anzahl der Tiere variiert. Gibt Hendriksen (1988) auch die eigentliche Belastung der Tiere als gering an, so bleibt doch die zweifelhafte Aussage. Normalerweise werden Tierversuche für eine spezielle Zielsetzung wie Wirksamkeits- und spezifische Toxizitätsprüfungen eingesetzt. Die unspezifische Testnatur der Prüfung auf anomale Toxizität erschwert die Übertragung der Ergebnisse auf die Zielspezies, vor allem wegen mangelnder Korrelation zwischen den Reaktionen der Labortiere und der Zielgruppe. Zusätzlich verringert sich der Stellenwert der Prüfung auf anomale Toxizität durch die fortschreitende Einführung einer GMP-(Good Manufacturing Practice-)gerechten Produktion und der GLP-(Good Laboratory Practice-)gemäßen Prüfung mit verbesserten chemischanalytischen Kontrollmethoden, so daß toxische, ungewollte Kontaminationen am Endprodukt weitgehend ausgeschlossen werden können. Die praktische Umsetzung sieht bei der „Prüfung von Sera und Impfstoffen für Tiere“ heute noch folgenden Ablauf vor: 5 Mäusen sind jeweils 0,5 ml der Zubereitung subkutan (s.c.) in die Kniefalte zu applizieren, während 2 Meerschweinchen jeweils 2 ml intraperitoneal (i.p.) erhalten (Tabelle 1). Sind Zusatzstoffe in den Impfstoffzubereitungen enthalten (Tabelle 2), ist beim Meerschweinchen s.c. zu injizieren. In der „Prüfung von Sera und Impfstoffen für Menschen“ erhalten 5 Mäuse jeweils eine Humandosis, höchstens aber 1 ml i.p., während 2 Meerschweinchen ebenfalls je eine Humandosis, maximal aber 5 ml, i.p. verabreicht wird. Der Test gilt als bestanden, wenn die Versuchstiere 7 Tage ohne Gewichtsverlust in guter Verfassung überlebt haben. Stirbt nur ein Tier, darf die Prüfung wiederholt werden. Stirbt im Wiederholungsfall erneut ein Tier oder zeigt Krankheitszeichen, ist der Test nicht bestanden. Der anomale Toxizitätstest (ATT) soll – neben anderen Prüfungen – die Sicherheit bei der Anwendung von Arzneimitteln und Mitteln biologischer Herkunft gewährleisten. Die Entstehungsgeschichte geht bis in die erste Hälfte unseres Jahrhunderts zurück. Es gab zahlreiche, nicht selten mit Todesfolge auftretende Zwischenfälle, verursacht durch Impfstoffe und Seren aufgrund von Toxinkontamination, Inaktivierungsfehlern oder der Verwendung eines falschen Anzuchtmediums (Ronneberger, 1993): Tabelle 1: Prüfung auf Reinheit von Impfstoffen und Sera ad us. und ad us. hum. Prüfung auf anomale Toxizität Erläuterung Impfstoffe /Sera ad us. vet. Injektion von 5 Mäusen (0,5 ml s.c.) und 2 Meerschweinchen (2,0 ml i.p. oder s.c.) Impfstoffe ad us. hum. Injektion von 5 Mäusen (max. 1 ml i.p.) und 2 Meerschweinchen (max. 5 ml i.p.) Prüfung auf spezifische Toxizität Impfstoffe ad us.vet. Prüfung an mindestens 2 Tieren der Zielspezies in doppelter Dosierung Belastung der Versuchstiere* > bis >>> Aussagekraft der Prüfung gering > bis >>> gering < bis (>) hoch *: bei ordnungsgemäßem Verlauf; <: keine Belastung; > ; geringe Belastung; >>: mäßige Belastung; >>>: hochgradige Belastung Tabelle 2: Adjuvantien Adjuvantien Konservierungsmittel Rückstände von Inaktivierungsmitteln Carbopol (Karboxylmethylen) Aluminiumhydroxid, -phosphat Saponine Öladjuvantien ö/w – w/ö Mannitmonooleate Thiomersal Phenol Formaldehyd Glutaraldehyd 12 ALTEX 11, SUPPLEMENT 94 DUCHOW UND KRÄMER Schon 1901 wurden die ersten Todesfälle durch Kontamination von Diphtherieantiserum mit Tetanustoxin registriert; im Jahre 1955 traten durch nicht ausreichende Inaktivierung eines Polioimpfstoffes 260 Erkrankungen nach der Impfung auf, die in 10 Fällen tödlich verliefen. So wurde im Impfstoffbereich dieser Tierversuch an kleinen Labortieren sicherlich auch als Reaktion auf die gravierenden Zwischenfalle eingeführt; die fertiggestellte Vakzine sollte zur Gewährleistung der Verträglichkeit im Säugetierorganismus untersucht worden sein. Auch bei der Produktion von Antibiotika fand das Testsystem Eingang: Retrospektiv betrachtet wurde der Test zu Beginn der fünfziger Jahre in den USA in Erwartung unbekannter, somit niemals exakt definierter Kontaminanten biologischer, chemischer oder physikalischer Herkunft als Merkmal der Qualitätssicherung bei der großtechnischen Herstellung von Penicillinen etabliert, um mit einem in vivo Testsystem (vermeintliche) Arzneimittelsicherheit vor der Anwendung am Menschen dokumentieren zu können (Hendriksen, 1988; Gommer, 1991). In den vergangenen vier Dekaden wurden in der pharmazeutischen Industrie – unter Einsatz moderner Technik zur Reinigung dieser Präparate und neuer Erkenntnisse der Wissenschaft – die Produktionsbedingungen sowie verbesserte Kontrollsysteme zur Qualitätskontrolle von Arzneimitteln so weit optimiert, daß im Zeitalter GMP-(Good Manufacturing Practice)gerechter und GLP-(Good Laboratory Practice)gemäßer Herstellung von Impfstoffen und anderen Arzneimitteln die Frage nach der Relevanz eines seit 40 Jahren im wesentlichen unveränderten Testmodells wie dem ATT zu stellen ist. Weder damals noch heute liegt eine klare Definition dessen vor, was genau mit diesem Test erfaßt werden soll. Welche Überlegungen führten zu der Wahl, Mäuse und Meerschweinchen einzusetzen? Wie ist schließlich bei einer Reaktion in Mausen und Meerschweinchen der Bezug zur Impfspezies, sei es Mensch oder Tier, herzustellen? ALTEX 11, SUPPLEMENT 94 Welche Auswirkungen haben die unterschiedlichen, für Mäuse und Meerschweinchen im Verhältnis zur Körperoberfläche bzw. -gewicht großen Volumina, die jeweils zu applizieren sind, zumal viele Vakzinen, insbesondere Präparate aus der Veterinärmedizin, Zusatzstoffe wie Adjuvantien und Konservierungsmittel enthalten? Eine Maus erhält mit 0,5 ml Impfvolumen ca. 1/40 ihres Körpergewichtes. Übertragen auf ein Rind von ca. 500 kg Körpergewicht bedeutete dies ein Volumen von 12,5 Litern. Ist es wahrscheinlich, mit den heute vorgeschriebenen Inprozeßkontrollen während der Impfstoffherstellung an der Bulkvakzine sowie den erforderlichen Prüfungen am Endprodukt wie chemisch-analytischen Untersuchungen, mikrobiologischen Tests, Identitätsbestimmungen, Wirksamkeitsbemessungen, Verträglichkeitsprüfungen eine Kontaminante oder toxische Substanz des Arzneimittels nicht zu erfassen, die möglicherweise ein Risiko der Arzneimittelsicherheit für den Anwender darstellen würde und nur im ATT nachzuweisen wäre? Oder umgekehrt gefragt: Bieten die jetzigen Prüfmethoden ohne diesen Test auf anomale Toxizität eine ausreichende Sicherheit? Besteht die Möglichkeit, die Prüfung auf anomale Toxizität ersatzlos aus dem DAB 10 sowie dem Europäischen Arzneibuch (Ph.Eur.) zu streichen? Diese konkrete Fragestellung ist Hintergrund des Projektes zur Aussagekraft der Prüfung von Impfstoffen/Immunseren auf anomale Toxizität. 2. Material und Methoden Der Arbeitsplan beinhaltet die retrospektive Erfassung von im PaulEhrlich-Institut (PEI) eingegangenen Anträgen auf Chargenfreigabe von Impfstoffen, Immunseren ad us.hum./ad us.vet. über einen Zeitraum von 3 Jahren im Hinblick auf Durchführung und Ergebnisse der Prüfung auf anomale Toxizität. Es ist nachzuprüfen, ob und wie oft ein nicht der Monographie entsprechendes Testergebnis Ursache für die Zurückweisung einer Charge war und wie häufig trotz nachweislicher Belastung der Versuchstiere Chargen vom PEI freigegeben wurden. Die Bereiche Humanund Veterinärmedizin werden getrennt bearbeitet, da in beiden Arbeitsgebieten unterschiedliche Anforderungen des DAB zu berücksichtigen sind. 2.1 Impfstoffe und Immunsera für Tiere Derzeit sind in Deutschland ca.400 Präparate zugelassen (Tabelle 3), Bei Impfstoffen für Geflügel entfällt die Prüfung auf anomale Toxizität, da diese nach eigenen Monographien getestet werden. Die allgemeine Monographie über Impfstoffe für Tiere eröffnet die Möglichkeit, eine Prüfung auf spezifische Unschädlichkeit am Zieltier durchzuführen. Diese Alternative wird sowohl vom PEI als auch vom Hersteller unterschiedlich genutzt, so daß ca. 300 Zulassungen verbleiben, die als Unschädlichkeitskriterium den Test auf anomale Toxizität am Endprodukt vorschreiben. 800–1000 Chargeneingänge pro Jahr (Tabelle 4) sind zu verzeichnen und in der Bestandsaufnahme zu erfassen. 2.2 Impfstoffe, Immunsera und Immunglobuline in der Humanmedizin Sämtliche in Deutschland zugelassene Impfstoffe, Immunsera und Immunglobuline werden derzeit auf anomale Toxizität geprüft. Häufig wird bei toxoidhaltigen Impfstoffen eine weitere Prüfung auf spezifische Toxizität verlangt. Zudem werden in Deutschland produzierte und freigegebene Impfstoffchargen oft in mehrere Länder exportiert. In WHOProgrammen eingesetzte Impfstoffe müssen deren Bestimmungen erfüllen, die für alle Impfstoffe die Durchführung des General Innocuity Tests (WHO Technical Report Series 658: 307–308, 1981) vorschreiben. 13 DUCHOW UND KRÄMER Tabelle 3: Übersicht über Art und Anzahl der in der BRD zugelassenen Veterinärimpfstoffe sowie Angaben über die Anzahl der Prüfungen auf anomale Toxizität (ATT) Stand: 31.12.92. Impfstoffe nach Tierart Hund, Katze Geflügel Pferd Schwein Rind Schaf Nerz Kaninchen Bakteriologische Virologische 17 4 8 38 12 9 1 0 89 157 69 15 32 22 1 3 4 303 Mykologische Parasitologische Immunmodulatoren 3 0 1 2 7 0 0 0 13 ATT 177 0 24 50* 41 10 4 0 Gesamt: 306 Gesamt: 405 Impfstoffe * Verschiedene Schweineimpfstoffe werden aufgrund der Unverträglichkeit des Adjuvans, welches bei den kleinen Labortieren unmittelbar zum Tod führt, nicht im ATT geprüft. Tabelle 4: Übersicht über die durchschnittliche jährliche Anzahl der Anträge auf Chargenfreigabe von Impfstoffen und Immunsera ad us. vet und ad us. hum. sowie von Immunglobulinen ad us. hum. Bakteriologische Impfstoffe/Immunsera ad us. vet. Impfstoffe ad us. hum. Immunsera/Immunglob uline ad us. hum. Virologische Mykologische Parasitologische Immunmodulatoren Gesamt 250 480 7 8 55 800 600 – 370 – 0 – 0 – 0 – 970 500 2270 Dieser Test entspricht der anomalen Toxizität. Bei den ca. 900 Impfstoffund ca. 500 Immunsera- sowie Immunglobulineingängen pro Jahr (Tabelle 4) sind diese besonderen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Ferner ist abzuklären, ob auch eine Gewichtsreduktion im Testverlauf als Beurteilungskriterium herangezogen werden könnte. Danach sollte eine abschließende Beurteilung des ATTs möglich sein. 2.3 Auswertung der Befunderhebung 3. Vorläufige Ergebnisse Die Auswertung der Befunderhebung beider Arbeitsbereiche erfolgt nach Abspeicherung in ein Datenbanksystem in Form von Risikoberechnungen, die eine Aussage über den Wert der Prüfung auf anomale Toxizität ermöglichen sollen. Im einzelnen wird insbesondere der Wert des ATTs als Prädiktor zur Erkennung einer mangelhaften Charge ermittelt. Mögliche Zusammenhänge zwischen Impfstoffzusätzen und auffälligen Reaktionen in Mäusen und Meerschweinchen werden statistisch geprüft. Es sind Konkordanzberechnungen von Herstellerund PEI-Daten vorzunehmen. Da das Projekt zur Aussagekraft des ATTs noch nicht abgeschlossen ist, können bisher nur vorläufige Ergebnisse präsentiert werden. 14 3.1 Impfstoffe und Immunseren in der Veterinärmedizin Tabelle 5 gibt eine Übersicht von Hersteller- und PEI-Daten zum Berichtszeitpunkt. Die aus den Protokollen der pharmazeutischen Unternehmer ermittelten Angaben sind noch nicht als endgültige zu betrachten, da in Einzelfällen weitere Angaben zur Klärung und Einordnung testspezifischer Problempunkte erwartet werden. Sämtliche Daten von im PEI durchgeführten Untersuchungen auf anomale Toxizität liegen für den Erfassungszeitraum von 1989–1991 vollständig vor. Die Einteilung der Impfstoffchargen erfolgte in inaktivierte bakteriologische und virologische Produkte, in Viruslebendimpfstoffe, Kombinationspräparate sowie mykologische Impfstoffe und Seren. Bei insgesamt 1568 eingereichten Anträgen auf Chargenfreigabe wurde von den Herstellern in 1073 Fällen der ATT durchgeführt, im PEI in 714 Fällen. Zwischen Hersteller- und PEIDaten tritt eine geringe Verschiebung in den Prioritäten auf: Inaktivierte Virusimpfstoffe stehen jeweils an erster Stelle, entsprechend der am häufigsten zur Prüfung gestellten Chargen. ALTEX 11, SUPPLEMENT 94 DUCHOW UND KRÄMER Tabelle 5: Anomale Toxizitätstests (ATTs) – Erfassungszeitraum 1989–1991. Hersteller Impfstoffe Chargen ATTs neg. Gew. neg. Gew. Tod Tod Mäuse Meersch. Mäuse Meersch. bakteriol./ inakt. 219 210 0 0 0 0 viral / inakt. 529 309 1 1 0 3 viral / lebend 404 196 0 0 0 2 kombiniert 347 289 0 0 1 1 mykologisch 13 13 0 0 0 0 Sera 56 56 0 0 0 0 Summe 1568 1073 1 1 1 6 Paul-Ehrlich-Institut Impfstoffe Chargen ATTs neg. Gew. neg.Gew. Tod Tod Mäuse Meersch. Mäuse Meersch. bakteriol./ inakt. 219 121 0 23 3 6 viral / inakt. 529 237 0 33 0 12 viral / lebend 404 191 0 22 5 8 kombiniert 347 157 0 21 1 16 mykologisch 13 0 0 0 0 0 Sera 56 8 0 0 0 0 Summe 1568 714 0 99 9 42 neg. Gew. = negative Gewichtsentwicklung; Meersch. = Meerschweinchen Während sich im PEI Menge und Reihenfolge der Prüfung auf anomale Toxizität nach der Zahl der Chargen richten, sind beim Produzenten die Kombinationspräparate an zweiter Stelle zu finden, gefolgt von den bakteriologischen Vakzinen und den Viruslebendimpfstoffen. Dabei wurden in den Jahren von 1989 bis 1991 in der Industrie und im PEI unter Miteinbeziehung der Wiederholungsprüfungen insgesamt 8760 Mäuse sowie 3802 Meerschweinchen eingesetzt. Die nicht den jeweils 5 Mäusen und 2 Meerschweinchen der Monographie entsprechende Anzahl an Versuchstieren bei den Herstellerdaten ergibt sich aus folgenden Gründen: Zum einen setzen die pharmazeutischen Unternehmer aufgrund praktizierten Tierschutzes in der Regel nicht wiederholt Mäuse und/oder Meerschweinchen ein, wenn in einer Impfstoff-spezifischen Monographie schon ein gesonderter Toxizitätstest gefordert ist, in dessen Rahmen auch die anomale Toxizität als abgedeckt betrachtet werden kann wie z.B. die Rotlaufmonographie. Andererseits basieren Toxizitätsprüfungen häufig auf dem Code of Federal Regulations (CFR) der USA. ALTEX 11, SUPPLEMENT 94 Bei beiden Verfahren variieren die Tierzahlen sowie die Art der Tiere. Die Tabelle 5 enthält neben den Angaben über die Zahl der ATTs Informationen über negative Gewichtsentwicklungen bei Meerschweinchen und aufgetretene Todesfälle. Im Vergleich zu den bislang erfaßten Herstellerdaten mit 0,65% treten im PEI mit ca. 7% Verluste durch den Tod von Versuchstieren häufiger auf. Gleichermaßen weisen die Tiere des PEI öfter eine Gewichtsreduktion auf, wobei ausschließlich die Gewichte der Meerschweinchen erfaßt wurden. Einige Hersteller haben die Gewichte ihrer Versuchstiere nicht erfaßt. Die Beurteilung richtete sich nach dem Aussehen der Tiere, so daß insgesamt die Angaben über eine negative Gewichtsentwicklung bei den Herstellern als fraglich betrachtet werden muß. Im Rahmen der Datenerfassung mußten nicht angegebene Gewichte als Null mitgeführt werden. Zurückhalt ungen 0 0 0 0 0 0 0 Mäuse Zurückhalt ungen 0 0 0 0 0 0 0 Mäuse 981 1602 724 1508 65 265 5145 620 1185 980 790 0 40 3615 Meersch. 408 608 384 554 26 112 2092 Meersch. 300 564 442 388 0 16 1710 Weder im PEI noch bei den Impfstoffherstellern führte die Prüfung auf anomale Toxizität zu einer Zurückweisung bzw. Zurückhaltung einer Charge. Neben der quantitativen Erfassung der Tests auf anomale Toxiziät unter Berücksichtigung der Parameter Gewichtsentwicklung und Todesfälle (Tabelle 5) wurden mit den im PEI erfaßten Daten Berechnungen auf Unabhängigkeit der Ereignisse wie Tod und Gewichtsreduktion von als problematisch für Labortiere angesehenen Zusatzstoffen (vgl. Tabelle 2) durchgeführt. Die Ergebnisse des χ2-Tests sind in Tabelle 6 dargestellt. Bei ausschließlicher Betrachtung der Impfstoffchargen mit oder ohne Zusätze zeigte sich keine Signifikanz, auch wenn Auffälligkeiten im Prüfungsverlauf zu verzeichnen waren. Erst durch die Differenzierung der Impfstoffe nach der Art ihrer Zusatzstoffe stellte sich heraus, daß Vakzinen mit mehreren Zusätzen deutlich signifikante Unterschiede im Bereich der Aluminiumhydroxid- und Thiomersalsowie der Thiomersalund Saponinzugabe (p<0,05) zeigen. 15 DUCHOW UND KRÄMER Präparate mit Zusatz von Aluminiumhydroxid und Saponin weisen einen hochsignifikanten Unterschied (p<0,01) im Vergleich zu den anderen Zusatzkombinationen auf. Hier korrelieren die Ergebnisse mit den bislang abgeglichenen Herstellerdaten. Die übrigen Kombinationen an Zusatzstoffen verhalten sich unauffällig. 4. Diskussion Nachdem die Prüfung auf anomale Toxizität als Reinheitskriterium von Impfstoffen (vgl. DAB 10, V.2.1.5) in den vergangenen Jahren zunehmender Kritik sowohl von pharmazeutischen Unternehmern als auch in der Prüfbehörde unterzogen wurde, jedoch keine wissenschaftlich gesicherte Basis für eine Änderung der Rechtsgrundlage bestand, erschien es sinnvoll, in einem Projekt retrospektiv diese Prüfungsvorschrift auf ihren Aussagewert hin zu betrachten. Die bislang erhobenen Daten weisen auf verschiedene Abhängigkeiten zwischen Art und Zusammensetzung des Impfstoffes und den Reaktionen bei Versuchstieren hin. Die Tabellen 5 und 6 verdeutlichen die Zusammenhänge. Aus der Tabelle 6 ist ersichtlich, daß insbesondere Adjuvantienund Konservierungsmittel-haltige Impfstoffe zu signifikanten Auffälligkeiten im Tierversuch führen können. Adjuvantien wie Aluminiumhydroxid und Saponin werden inaktivierten Vakzinen zugesetzt, um die Immunogenität zu erhöhen. Daß gerade Saponin die Vitalität kleiner Versuchstiere erheblich beeinträchtigen kann, ist aus der Literatur bekannt (Daalsgard et al., 1990). Da sich nach eigenen Untersuchungen die Erkenntnisse der Literatur bestätigten, wurde die Prüfung auf anomale Toxizität im PEI bei den saponinhaltigen Produkten eingestellt, was deutlich wird im Verhältnis der eingereichten Chargen zu den durchgeführten ATTs. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang die Konkordanz mit den Produzenten bei Aluminiumhydroxid- und Saponinhaltigen Impfstoffen nach einem ersten Berechnungsmodus. Die Stärke der Reaktionen auf Saponin im Versuchstier hängt vom Reinheitsgrad der Substanz ab. So prüfen verschiedene Hersteller in einer zusätzlichen Toxizitätsprüfüng die Empfindlichkeit ihrer Mäuse auf das jeweilige Präparat, bevor es in der entsprechenden Konzentration während der Impfstoffproduktion zugesetzt wird. Vielfach werden auch ganz bewußt in den ersten Tagen nach Applikation eines saponinhaltigen Impfstoffes für den ATT klinisch manifeste Beeinträchtigungen des Allgemeinbefindens hingenommen, da sich die Tiere innerhalb von 7 Tagen, normalerweise stabilisieren und der Test als bestanden gilt. Tabelle 6: Einfluß von problematischen Impfstoffzusätzen auf die Ergebnisse der im Paul-Ehrlich-Institut durchgeführten anomalen Toxizitätstests. Test auf Unabhängigkeit der Ereignisse (Tod, negative Gewichtsentwicklung) von den jeweiligen Zusatzstoffen (Chi-Quadrat-Test) Impfstoffe Chargen ATTs Tod/ATT neg.Ge./ATT mit Zusatz 1055 474 28 61 ohne Zusatz 513 240 9 32 Summe 1568 714 37 93 χ2-Test n.s. Differenzierung nach Zuätzen Impfstoffe mit nur einem Zusatz Aluminiumhydroxid Thiomersal Saponin Phenol Öladjuvans Chargen 283 143 7 105 151 ATTs 74 82 3 35 100 Tod/ATT 1 4 0 3 2 neg.Ge./ATT 6 17 0 3 14 χ2-Test n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. Impfstoffe mit mehreren Zusätzen Chargen ATTs Tod/ATT neg.Ge./ATT χ2-Test Alum. + Thiom. Thiom. + Saponin Alum. + Saponin Phenol + Öladjuvans Alum. + Phenol Thiom. + Öladjuvans Alum. + Thiom. + Saponin Alum. + Thiom. + Phenol 249 29 32 3 16 22 9 6 137 14 19 p<0,05 2 1 0 p<0,05 7 2 2 p<0,01 2 0 0 n.s. 11 0 0 n.s. 15 1 0 n.s. 3 0 0 n.s. 3 0 0 n.s. ATT = Anomaler Toxizitätstest; neg. Ge.= negative Gewichtsentwicklung; χ2-Test = Chi-Quadrat-Test; Alum. = Aluminium; Thiom. = Thiomersal 16 ALTEX 11, SUPPLEMENT 94 DUCHOW UND KRÄMER Wenn man davon ausgeht, daß sich zu einer Signifikanz führende Auffälligkeiten auch mit der Zahl der untersuchten Chargen möglicherweise potenzieren, liegen für eine konkrete Beurteilung der übrigen Zusatzkombinationen zuwenig Daten vor, abgesehen von dem Aluminiumhydroxidund Thiomersalzusatz. Die dabei aufgetretene Signifikanz ist dementsprechend rein quantitativ zu interpretieren, da sie ebensowenig wie der durch einen definierten Saponingehalt verursachte Tod einer ATT-Maus definitionsgemäß ein Reinheitskriterium für einen Impfstoff darstellt. Die Problematik der abschließenden Beurteilung eines ATTestverlaufs zeigt sich besonders in der unterschiedlichen Akzeptanz dessen, was als unvermeidlich, weil impfstoffspezifisch, hingenommen wird oder was als nicht bestanden gilt. In den Fällen, in denen bei Nichtbestehen des ATTs möglicherweise ein Zusammenhang mit dem Impfstoff vermutet wurde, ist bei Impfstoffen für Tiere eine spezifische Unschädlichkeitsprüfung am Zieltier durchgeführt worden, die im Erfassungszeitraum in keinem Fall den ATT bestätigt hat und in der Folge sowohl das PEI als auch den Hersteller häufig veranlaßte, ausschließlich die Prüfung auf spezifische Unschädlichkeit durchzuführen. So erklären sich auch die trotz Tod und negativer Gewichtsentwicklung, insbesondere von Meerschweinchen, niemals stattgefundenen Zurückweisungen von Chargen durch das PEI aufgrund nicht bestandener ATTs bzw. die nicht vorhandenen Zurückhaltungen von Chargen beim Hersteller (Tabelle 5). Die im PEI wesentlich häufiger aufgetretenen Ausfälle/Auffälligkeiten bei Durchführung der Prüfung auf anomale Toxizität sind vor allem auf den Einsatz von Tieren aus einer institutsinternen Tierzucht zurückzuführen. Diese Tierzucht wurde in der Folgezeit aufgegeben, um Tiere aus an-erkannten SPF-Betrieben zu beziehen. ALTEX 11, SUPPLEMENT 94 Tabelle 7: Mögliche Ursachen für Unregelmäßigkeiten im Testverfahren ATT. Ursachen mögliche Alternativnachweise Endotoxin Konservierungsmittel Saponin bakteriologische Verunreinigungen LAL (Limulus) -Test chemische Analysen Hämolyse von Erythrozyten Sterilitätsprüfungen, LAL-Test Ein Test wie der auf anomale Toxiziät, der als Beurteilungskriterium nur das Überleben und Auftreten von Krankheitszeichen der Mäuse und Meerschweinchen innerhalb von 7 Tagen realisiert, ist nach den bislang durch geführten Erhebungen kein Maßstab für die Reinheit und Unschädlichkeit eines Impfstoffes. Auch das noch im Kommentar des DAB 9 enthaltene Kriterium der Empfehlung, die Gewichtsentwicklung zu beobachten, gibt keinen Anhaltspunkt für die Qualität von Vakzinen, ebensowenig wie Impfstoffspezifische Unverträglichkeiten von heftigen Lokalreaktionen bis zu systemischen Erscheinungen der kleinen Versuchstiere, die in aller Regel stillschweigend akzeptiert werden. Die im ATT auslösenden Verursacher von Auffälligkeiten sollten mit den heutigen alternativen Labormethoden erkannt werden. Tabelle 7 gibt eine vereinfachte Übersicht der Ursachen, die zu einer Reaktion in den Versuchstieren führen können. Gleichzeitig werden die möglichen Alternativen aufgeführt. Geht man von den eher global dargestellten tabellarischen Zusammenhängen zu den die Auffälligkeiten verursachenden Chargen, so wird man auf ständig sich wiederholende Einzelfälle treffen. Diese lassen sich zu einzelnen Präparategruppen subsummieren, in denen teilweise die Abweichungen von der Norm des ATTs so gravierend waren, daß im Laufe der Jahre im Veterinärbereich der Test z.T. zugunsten der spezifischen Unschädlichkeit entfallen ist; im Humanbereich wurden diese Auffälligkeiten stellenweise als normal in spezielle Monographien integriert. Abschließend kann beim derzeitigen Stand der Datenlage behauptet werden, daß der ATT bis in die 70er Jahre sicherlich eine gewisse Daseinsberechtigung hatte, vor allem unter Berücksichtigung der bis zur Mitte des Jahrhunderts gravierend verlaufenen Impfzwischenfälle. Mit den heute praktizierten Herstellungsund Prüfbedingungen wären die Auslöser aber auch ohne ATT erkannt worden. Es existiert ein ausführliches Prüfsystem zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit eines Impfstoffes vor dessen Anwendung an der Zielspezies. Teilaspekte sind in Tabelle 7 genannt. Umfangreiche Untersuchungen von Saatmaterialien über Impfstoffzusätze bis zum Endprodukt während des gesamten Herstellungsprozesses weisen gezielt auf Verunreinigungen mikrobiologischer Herkunft, Toxinkontaminationen, Imbalanzen im physikochemischen Bereich, nicht ausreichende Wirksamkeit und mangelhafte Inaktivierung hin. Es ist vermessen, anzunehmen, daß ausschließlich der Test auf anomale Toxizität einen der genannten Bereiche abdeckt, ohne daß eine alternative Methode zur Verfügung steht. Die vorliegenden Ergebnisse sollten nach Abschluß der Untersuchung zu einer Streichung des ATTs aus dem DAB führen. Literatur 17 DUCHOW UND KRÄMER Danksagung Das im Paul-Ehrlich-Institut durchgeführte Projekt „Anomale Toxizitätsprüfung bei Tierimpfstoffen“ wird vom Bundesministerium für Forschung und Technologie im Rahmen des Förderprogrammes „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ gefördert. Korrespondenzadresse Karin Duchow Paul-Ehrlich-Institut Bundesamt für Sera und Impfstoffe Postfach 1740 D-63207 Langen ... GEWISS! SOEBEN STELLEN WIR DIE NEUESTEN RESULTATE DER TESTS AUF ANOMALE TOXIZITÄT ZUSAMMEN! 18 ALTEX 11, SUPPLEMENT 94